Meinhard Ansohn
Stimmt die Stimmung, stimmt die
Stimme, stimmt’s?


Wie man die Stimmung im Musikunterricht im Blick behält

Gute Stimmung möchte jeder haben. Wenn sie fehlt, macht das Lernen keinen Spaß. Auch wenn sie nicht so leicht herzustellen ist, lassen sich doch einige Aspekte benennen, die das wichtige Gut Stimmung mitbestimmen und damit den Unterrichtserfolg erleichtern.


Gute Stimmung – schlechte Stimmung

Es stimmt tatsächlich: Wenn die Stimmung gut ist, lässt es sich leichter ... Setzen Sie ein, was Sie wollen, es stimmt immer. Mit guter Stimmung klingt die Gitarre besser, gelingt uns jedes Vorhaben einfacher. Gute Stimmung hebt den Energielevel. Bei guter Stimmung passt vieles besser zusammen, gibt es weniger Unstimmigkeiten. Und wo etwas zusammenpasst, sagen wir, stimmt es überein, es stimmt einfach. Dass das Abschätzen von Dingen, das Vergleichen und als passend Erachten sprachlich überraschend nahe bei der Bezeichnung für unser Sprech- und Singorgan Stimme liegt, ist ein Phänomen. Aber auch die Stimme, die wir bei einer Wahl abgeben, gehört in das gleiche Feld. Mit ihr tun wir unseren Willen kund. Die Stimmung des Menschen, seine Meinung wie auch sein Gemütszustand, sind viel unbestimmter und veränderlicher als die musikalische
Stimmung. Die Stimmung eines Instruments - egal ob rein oder temperiert - folgt ganz genauen Regeln. Die Stimmung des Gemüts nicht. Und die Auswirkungen der Stimmung
auf die Stimme auch nicht. Deshalb ist gute Stimmung nicht unterrichtbar. Wir können
eine Gitarre vor dem Singen total verstimmen und mit den Kindern zusammen lauschen, wie sich ihr Klang verändert, wenn sie durchs Stimmen nach und nach immer besser stimmt. Aber wir haben keinen direkten Einfluss auf die Stimmung der Kinder, die von vielen außerschulischen und schulischen Faktoren beeinflusst wird.
Trotzdem ist Musikunterricht in der Grundschule sehr von Stimmung abhängig. Der Anspruch, dass Kindern Musikunterricht "Spaß machen" soll, ist legitim. Die Erkenntnis, dass sich bei guter Stimmung Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit erhöhen, ist nicht neu. Von da her lohnt es sich, einen kleinen Blick auf die Parameter zu werfen, die gute Stimmung fördern können.


Stimmung 1 - Anfangs- und Schlusslied

Das Anfangslied Guten Morgen zum neuen Tag stimmt uns ein auf den Unterricht. Darin geht es ums Singen, Spielen, Hören, Üben, Musizieren und das Lernen über Musik. Was auch immer in der Stunde geschieht: Wenn wir von der anfänglichen Stimmung (der Spannung, dem musikalischen Grundstrom) etwas bis zum Schluss erhalten, kann ein Abschlusslied das Ganze abrunden: Das war gut, das war schön.
Ein Anfangslied "packt die Stunde aus", ein Schlusslied "packt die Stunde ein". Vor allem bei den Kleineren sind diese Signale wichtig. Zumindest helfen sie bei der Konzentration auf das, was kommt und der kurzen Besinnung auf das, was war.
Das Anfangslied trägt viel dazu bei herauszufinden wie die Stimmung ist: Singen wir müde und schlapp oder herzhaft und frisch? Schon beim Eintritt in die Klasse können wir oft sehen, wie die Stimmung ist und das Anfangslied belebend oder beruhigend beginnen. Wenn die Kinder nach einigen Wochen das Lied von allein anstimmen (meistens zu tief), ergeben sich schnell Möglichkeiten, eine gute Singhöhe ins Bewusstsein zu rücken. Ein kleiner Kommentar, ein kleiner Impuls kann die Qualität des Singens erhöhen - bei vorsichtiger, aber stetiger Dosierung sogar nachhaltig, z. B.: Wollt ihr es nicht noch mal singen? Das könnt ihr eigentlich schon viel besser. Letzte Woche habt ihr es höher gesungen, erinnert ihr euch? Draußen scheint die Sonne, da könnten wir es auch noch mal heller probieren. Wirklich nur kurz und wenig. Das Anfangslied soll ein Ritual bleiben und nicht zur Übungsbaustelle werden.

1 Guten Morgen zum neuen Tag              T & M: Meinhard Ansohn


Hörprobe


2
Das war gut, das war schön                T & M: Meinhard Ansohn


Hörprobe



Stimmung 2 - wiederkehrende Methoden

Anhaltende Aufmerksamkeit im Musikunterricht wird oft erreicht durch einen Wechsel der Methoden, z. B. von instruktiven Phasen und Eigentätigkeit, Einzel- und Gruppenarbeit oder Übungs- und Präsentationsphasen.
Alle Methoden- und Phasenwechsel sollten grundsätzlich auf bekannten Methoden aufbauen. Hier als Beispiel die Vor- und Nachspielrunde im Rhythmuskreis: Die Lehrkraft klatscht einen Rhythmus vor, SchülerIn klatscht ihn nach. JedeR ist einmal dran und darf vorher bestimmen: "leicht", "mittel" oder "schwer". Wenn dies als Rhythmus-Ritual bekannt und damit vertraut ist, freuen sich die meisten Kinder schon darauf, wenn der Kreis gebildet wird: Das kenne ich, das mag ich.
Variation: Kinder klatschen der Lehrkraft einen Rhythmus vor. Das ist eine andere Art von Herausforderung: Jetzt müssen die Vormacher entscheiden, welche Schwierigkeit sie anbieten können. Der Rhythmus muss für sie selber wiederholbar sein. Sie müssen das richtige Tempo einschätzen. das funktioniert noch nicht in den ersten Wochen des Rhythmuskreises, denn anfangs wird das Wiederkehrende, Verlässliche gebraucht, dann erst die Abwandlung.
Wenn das in Anwesenheit der Lehrkraft funktioniert, können kleine Kreise entstehen, in denen nur die SchülerInnen das Vor- und Nachklatschen im Kreis herumgeben. Je ernsthafter die ersten Wochen im großen Kreis angenommen worden sind, desto sicherer sind die Kinder im kleinen Kreis, desto mehr Spaß haben sie und bleiben bei der Sache, auch wenn keine Lehrperson den Kreis steuert. Die wiederkehrende Methode erhält uns die Stimmung, die kleine Spannung, die es braucht, damit die ­Arbeit am Rhythmus nicht zusammenbricht.


Der Rhythmuskreis - wenn der große Kreis gut funtioniert, können kleine Kreise
entstehen, in denen nur die SchülerInnen das Vor- und Nachklatschen im Kreis
herumgeben, ohne die Lehrkraft.



Stimmung 3 - Humor und Instrumentalspiel

Lachen hebt nicht nur die Stimmung, sondern auch die Stimme. Witze können die Würze sein für eine längere Trockenzeit beim Üben. Die meisten Musikerwitze werden von Kindern aber nicht verstanden, weil ihnen das Hintergrundwissen fehlt, um etwas Absurdes, eine Brechung, einen Gegensatz, eine Übertreibung oder ein Klischee zu verstehen.
Und doch gibt es manchmal Gelegenheiten, Neues zu verstehen. Hier ein Beispiel aus einer 3. Klasse: Die Kinder sollten Spielregeln auf Glockenspielen und Xylofonen erkunden. Keine Vorgabe, wie viele Töne auszuwählen sind, aber als Prinzipien die Wiederholung, das Rückwärtsspielen und das Prinzip Wechsel zwischen langen und kurzen Tönen. Alle probierten, einer spielte mit Hingabe immer das g’ vor sich hin. Bei der Präsentation ebenfalls. "Warum?" "Weil ich es mag." Dem Einwand eines Mitschülers ("Wie langweilig!") hielt ich einen alten Witz entgegen: Ein Inder fand nach dem Besuch einer Reisegruppe aus Europa im Gebüsch eine Geige. Er nahm sie mit nach Hause und spielte den ganzen Tag auf der leeren A-Seite. Am nächsten Tag wieder, die ganze Woche lang. Irgendwann fragte ihn seine Frau: "Kannst du nicht auch mal etwas Anderes spielen? Die Europäer machen so viele Bewegungen und kriegen so viele verschiedene Töne aus dem Instrument heraus." " Ja," sagte der Mann, "die suchen noch. Ich habe den richtigen Ton schon gefunden."
Etwa die Hälfte der 3. Klasse verstand den Witz und lachte. Manche versuchten ihn selbst zu erklären. Entscheidend war, dass wir ihn zum Anlass nehmen konnten, das - in diesem Alter eigentlich verpönte - Hänschen klein auf einem Ton zu singen, jeder auf seinem. Und die Kinder scheuten sich nicht, ihren Ton zu präsentieren, ihn allein vorzusingen, sich gegenseitig im "ich kann noch höher" zu überbieten oder auf einem Ton mit dem Glockenspiel mitzuspielen. Lernen durch Humor mit überraschenden Entwicklungen.


Stimmung 4 - Entspannung vor der Tätigkeit

Eine Saite stimmt man langsam hoch, von der Entspannung zur Spannung. Wer zu stark spannt, muss noch mal zurück, sonst hält das Instrument die Stimmung nicht. Das ist bei Menschen ähnlich. Aus einem überspannten Zustand, der bei Kindern z. B. im Pausenstreit entsteht, kommt man kaum in eine gut gespannte Lernsituation.
In unserer Schule haben wir vor allem für die Erst- bis Drittklässler eine Musik gefunden, die sie herunterbringt von der Anspannung der Hofpause. Eine reine Stillephase würde die Kinder in dem Moment überfordern.
Diese Musik hat alle Qualitäten von Entspannungsmusik, ruhig und doch bewegt, mit Akzenten, aber trotzdem ganz im Fluss. Die akustischen Instrumente Gitarre, Violine und Percussion heben sich wohltuend von der sonst als Entspannungsmusik angebotenen elektronischen Soße ab. Wir hören das Stück fast jeden Tag, Kissen auf dem Tisch, Kopf auf dem Kissen, Start. Manchmal wird gefragt: "Mögt ihr’s denn noch?" Seit knapp zwei Jahren mit immer der gleichen Antwort: "Ja!" Als erhaltende Kraft wirkt neben der Musik inzwischen auch das Ritual. Danach folgt das Anfangslied. Jetzt kann man ins Thema einsteigen, welches auch immer.


Stimmung 5 - Gelassenheit, Neugier, Freude

Eine der Hauptvoraussetzungen für eine gute Stimmung ist die gelassene Grundhaltung der Lehrkraft: "Ja, ich möchte mit euch etwas erreichen. Ja, ich traue euch etwas zu. Ich bin interessiert an dem, was herauskommt, wenn ihr probiert."
Eine solche Grundhaltung beinhaltet selbstverständlich, dass die SchülerInnen im Unterricht mitentscheiden können. Nicht immer, aber oft genug. Eigene Musik mitbringen, nicht immer, aber immer wieder. Zu Fragen kommen, statt befragt zu werden.
Wenn ich als UnterrichtendeR neugierig bin, was bei einer Spielaufgabe herauskommt, erzeuge ich eine Spannung, die notwendig ist, damit es nicht egal ist, was wir da tun. Wenn ich loben kann, weil ich etwas gut finde, brauche ich kein pädagogisches Lob, das SchülerInnen oft durchschauen. Wenn ich mich freuen kann, dass etwas entsteht, ist es egal, auch wenn es so schon zigmal woanders entstanden ist.
Ganz gleich, ob ich Stimmübungen inszeniere, Lieder in Szene setze, Instrumentalspiel einführe oder Musik vorspiele um darüber zu reden, dazu zu malen oder zum Umsetzen in Bewegungen anregen möchte, geht es immer darum, die Stimmung im Blick zu behalten. "Unser Musikunterricht früher hat Spaß gemacht!" Diese Erinnerung speist sich nur zum kleinsten Teil aus der Fülle der gelernten Inhalte. Das, was hängen bleibt, ist die Grundstimmung, in der wir durch die Stunden gegangen sind - der Erwartung von etwas Schönem bis zur möglichst häufigen Erfüllung.
Deshalb ist es notwendig, die eigene Stimmung mit kleinen Hallo-Wach-Sätzen möglichst ruhig zu halten. Die Stimme als Botschafterin ist neben der Körpersprache das wichtigste Mittel zur Überbringung der Nachricht: "Heute haben wir die Chance, es gut zu haben im ­Musik­unterricht."